Auf dem Rennsteig von Eisenach nach Blankenstein

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Kaum war ich im Mai aus dem Schwarzwald zurück, stand sofort fest: Ich brauche dieses Jahr noch eine zweite Fernwanderung. Unbedingt und am besten sofort. Die Wahl fiel auf den Rennsteig, und obwohl es sich von Mai bis September doch ganz schön lange hinzog, ist es nun endlich wieder soweit:

Noch ein Tag Arbeit, noch drei mal schlafen, dann geht es los! Die Klamotten sind bereit, der Rucksack nahezu gepackt, und das mittlerweile schon traditionelle Frühstück für Sonntag (vor meiner Abreise) im Gasthof Adler in Ziemetshausen ist bestellt – es kann nicht mehr viel schief gehen!


Eine etwas seltsame Anreise nach Eisenach

18. September 2015

Der Tag hat mit einem leckeren Frühstück beim „Adler“ in Ziemetshausen ganz hervorragend begonnen, und soeben habe ich ihn genauso hervorragend im „Augustiner-Bräu“ (ja, wirklich!) in Eisenach mit einem wunderbaren Hirschgulasch beendet.

Der Zeitraum dazwischen war („thank you for travelling with Deutsche Bahn“) reichlich bizarr. Zumindest meine kulinarische Reiseplanung wurde von der DB komplett über den Haufen geworfen.

Einsteigen in Augsburg – alle Plätze besetzt, auch mein (gebührenpflichtig!) reservierter. Klar, die Reservierungsschilder fehlen! Und der Zug ist rammelvoll! Also ab ins Bordbistro. Dort ist zwar Platz, aber: Es gibt kein Bier! Auch egal. Dann halt eine Schorle. Gut, daß ich gleich bestellt habe, denn ich hab noch eine bekommen! Ab Donauwörth war der Weißwein alle, ab Ansbach der Rotwein, dann folgten Schlag auf Schlag die Cola, der Kaffee, die Schokoriegel, der Schokokuchen, … und etwa ab Würzburg war das Bistro geschlossen. Komplett ausverkauft. Nachschub gibts erst in Hannover …

Das Bier hab ich mir dann im Bahnhof in Fulda gegönnt. Für eine vernünftige Mahlzeit war da aber keine Zeit. Bei der Weiterfahrt dann nochmal eine Steigerung: Bordbistro geschlossen! An der Scheibe hängt ein Zettel in leuchtorange: „Bistro gesperrt. Hygieneprüfung negativ.“ Na Mahlzeit!

Mein Quartier in Eisenach ist abartig cool. Das Haus ist 600 Jahre alt und ich wohne ganz oben neben dem Turm, der ein einziges gigantisches Treppenhaus ist. Morgen mach ich Sightseeing!

Und dann kann mir die DB gestohlen bleiben. Pah, lauf ich eben zu Fuß nach Blankenstein! 😉


Ein Tag Kultur! Und wie!

19. September 2015

Eisenach hat mich schon gestern bei der Ankunft fasziniert. Die Innenstadt ist nahezu komplett original erhalten, ein unbeschreibliches Sammelsurium aus Mittelalter, Renaissance, Barock, Klassizismus, Jugendstil und Gründerzeit. Dazu allseits bekannte Namen wie Bach, Goethe und Luther. Und natürlich die Wartburg!

Wobei wir beim nächsten Handicap meiner Reise wären: Normalerweise hat die Wartburg täglich geöffnet, nur nicht heute, denn ich habe hochrangige Konkurrenz in Eisenach: Unser Bundespräsident empfängt heute auf der Wartburg die Präsidenten von Bulgarien, Estland, Finnland, Italien, Lettland, Malta, Österreich, Polen, Portugal und Slowenien. Da ist der gemeine Pöbel natürlich unerwünscht und die Burg deshalb geschlossen. *grmpf*
Eisenach ist heute die wohl sicherste Stadt Deutschlands. Mir war gar nicht bekannt, daß es in Thüringen überhaupt sooo viele Polizeifahrzeuge gibt …

Also um 10:00 auf zur Stadtführung. Sehr kurzweilig und hochinteressant, jedoch platzt mir nach den 1,5 Stunden fast der Kopf. Völlige Informationsüberladung! Der Hammer, was es hier in diesem beschaulichen Städtchen alles zu sehen, zu erfahren und zu lernen gibt ! Es wird höchste Zeit für einen kleinen Snack: Spanferkelrollbraten & Bayerisch Kraut & Thüringer Klöße, begleitet von einem Eisenacher „Schwarzer Esel“. Extrem lecker!

Der nächste Termin steht an. Um spätestens 14:00 muß ich im Bach-Museum sein, wenn ich dort das stündliche Konzert von originalen Werken auf originalen Instrumenten in originaler Atmosphäre nicht verpassen will. Und das will ich auf natürlich auf gar keinen Fall!
Ab 16:00 findet dann dort das Damenprogramm der präsidialen Zusammenrottung statt, weswegen der ordinäre Pöbel wieder … schon klar!

Die Wartburg kommt dann also morgen dran, liegt ja (fast) auf dem Weg nach Ruhla, meiner ersten Rennsteig-Etappe, und die ist kurz. Allerdings müßte ich dann das Orgelkonzert in der Georgenkirche streichen. Das ist auch so ein Highlight, die Orgel hat 4835 Pfeifen! Wer will sich so etwas entgehen lassen? Schon wieder so eine Zwickmühle. Decisions, decisions, …
Werde darüber heute Abend mal bei einem Bier detailliert nachdenken …

Zwischen all dem hätte ich beinahe noch vergessen, meine letzten paar Kleinigkeiten einzukaufen (Schokoriegel, BiFi, Tuc … was man halt so als Tagesproviant für eine Woche mitschleppt). Und außerdem brauche ich UNBEDINGT noch einen Stein aus der Hörsel, den ich dann am Ende der Tour in die Saale werfen muß.

Ja, genau, das MUSS man nämlich als Rennsteig-Wanderer so machen. Unbedingt und nicht verhandelbar. Tradition und so … Ich hab Glück: Der Lidl liegt fast direkt an der Hörsel.

So, und jetzt gönne ich mir … ach, irgendwas im Augustiner, denk ich 😉


1. Etappe: Von Eisenach nach Ruhla

20. September 2015

Vom Sonnenschein in den Regen, und das leider (fast) ohne Wartburg.

Um 09:00 bin ich, wie schon gestern, beim sehr vielfältigen und reichhaltigen Frühstück – alleine! Die anderen Gäste müssen es sehr eilig gehabt haben, und das Buffet ist nahezu unangetastet. Umso besser, hehe …

Da ich heute nur eine Kurz-Etappe von gerade einmal 12 km vor mir habe, gerade recht zum Einlaufen also (ja Chris, so ist das!), bleibt mir also eigentlich alle Zeit der Welt. Also – was nun? Orgelkonzert oder Wartburg?

Da von Westen her ein Regengebiet heranzieht, entscheide ich mich für die Wartburg-Variante. (Ein Fehler, wie sich bald herausstellen wird …) Damit bin ich schon mal auf dem Weg, auch wenn das zusätzliche 200 Hm bedeutet. Für das Konzert hätte ich erst um 11:30 abmarschieren können. Und außerdem liebe ich Burgen! Also los um kurz vor 10:00.

Der Thüringer Wald beginnt direkt am Stadtrand von Eisenach und begrüßt mich auch gleich mal mit einem handfesten und langen und steilen Anstieg. Hey, so war das nicht ausgemacht, es war von „Warmlaufen“ die Rede, nicht von „Gipfelsturm“!

Jaja, ich weiß: Selber schuld, wenn man zum Einstieg unbedingt die Wartburg mitnehmen will. Burgen liegen ja eigentlich immer „oben“, fast immer sogar „ganz oben“. (Das liegt im Übrigen nicht an der Bauweise, sondern an Plattentektonik und Erdbeben, wie Mark S. aus M. gerne erläutern wird. Seine Kontaktdaten sind bei mir erhältlich 🙂 )

Gegen 11:00 bin ich nun endlich oben an der Burg und mir schwant Übles: Alle Parkplätze sind belegt, eine ganze Armada von Reisebussen spuckt Touristen jeden Alters (Schulklasse bis Pflegeheim) und jeder Herkunft aus, im Burghof ist schon kurz nach dem Portal fast kein Durchkommen mehr. Und ein Schild weit vor der Kasse verweist auf eine geschätzte Wartezeit von mindestens zwei Stunden für die Palas-Führung.

Klar, die Sperrung gestern für die präsidiale Mischpoke hat zur Verlagerung der Besucher auf heute geführt. Mich eingeschlossen. Kurze Überschlagsrechnung, abgrundtiefer Groll, nochmal nachdenken … nein, es hilft nichts, das wäre alles zu spät und zu lang. Schweren Herzens mache ich mich wieder auf den Weg. Was nicht sein soll, geht halt nicht. Aber ich werde wiederkommen! Eisenach braucht deutlich mehr als zwei Übernachtungen!

Erst mal wieder nach unten und dann steh ich vor der Drachenschlucht! Die habe ich fix und fest eingeplant, und ich sollte nicht enttäuscht werden!
Über fast zwei Kilometer windet sich ein schmaler Pfad mal mehr, mal weniger bergauf zwischen senkrecht aufragenden Felswänden. Lange, enge Passagen sind mit dem großen Rucksack gerade noch so passierbar, denn an der engsten Stelle ist der Durchlaß gerade einmal 68 cm breit! Hammer! Was für eine Formation!

Noch ein kurzes Stückchen weiter und ich stehe am ehemaligen Jagdschloß „Hohe Sonne“, ein ebenfalls geplanter Zwischenstop. Nicht wegen dem Schloß, denn das ist leer, baufällig und völlig fertig. Aber hier gilt es eine Straße zu queren, und ab hier bin ich erst auf dem „echten“ Rennsteig! Und hier gibt es auch eine Imbissbude, was mir bei meiner akribischen Tourenplanung natürlich nicht entgangen ist!

Mein Erlebnis „Drachenschlucht“ hat meinen Ärger auf unseren Bundesgauckler bereits deutlich gedämpft und den restlichen Groll vertreibe ich hier also mit einer original Thüringer Rostbratwurst und einem Halbzeit-Bier. Ach, wie schön so ein Tag doch noch werden kann!

Pünktlich zum Abmarsch beginnt es nun wirklich zu regnen. Erst ganz leicht, doch dann – und wie ausgemacht direkt am Unterstand „Rennsteiggrotte“, kommt der volle Guß! Unterstellen und ab in die Vollausrüstung, die sich ja auch schon reichlich in Schottland bewährt hat. Der Regen prasselt herunter und ich erfreute mich kompletter Trockenheit auf den letzten paar Kilometern bis zur Rennsteigbaude Hubertushaus, meinem heutigen Tagesziel weit oberhalb von Ruhla.

Kurz mal etwas kultivieren, dann ein Blick aus dem Fenster: Es regnet immer noch … nur herunter mit dem Zeug, dann kann es morgen nicht mehr kommen!

Den Abend verbringe ich in Gesellschaft eines australischen Ehepaars, einer Rinderroulade, Apfelstrudel und Schöfferhofer Weizen. Eine sehr gelungene Kombination, wie ich finde!


2. Etappe: Von Ruhla zum Spießberghaus

21. September 2015

„Ein deutscher Bergpfad ist’s! Die Städte flieht er und birgt im Dickicht seinen scheuen Lauf.“ (Viktor von Scheffel, 1872)

Oh ja! Meine erste vollständige Etappe führt mich direkt in den Wald, und da bleibt der Weg auch. Ich vermute, für den größten Teil der noch folgenden Etappen. Erinnerungen an den Westweg im Schwarzwald, den ich im Mai gewandert bin, kommen auf. So viel ähnelt sich, und doch – der Thüringer Wald ist ganz anders. Irgendwie lockerer, nicht so schwarz. Viel mehr Laubbäume. Und irgend etwas anderes ist auch noch anders, aber das kann ich noch nicht konkret formulieren.

Das Wetter ist … naja … so und so, sag ich mal. Immerhin bleibt es bis auf einen ganz kurzen und ganz leichten Schauer den ganzen Tag über trocken. Leider bin ich schon wieder einmal hauptsächlich in den Wolken unterwegs. Das begrenzt die sicher zahlreichen Ausblicke in die Täler ganz drastisch, aber ein paar schöne Bilder konnte ich dann wider Erwarten doch noch produzieren!

Und wieder ist es da, dieses mystische Gefühl, das mich schon im Schwarzwald so in seinen Bann gezogen hat. Nebelfetzen treiben durch den Wald, dicke Tropfen von den Bäumen klimpern auf Blättern und Boden. Und ich bin nahezu allein bei dieser Darbietung.

Und dazu gibt es reichlich Felsen, Grotten und dergleichen zu sehen. Hab ich schon mal erwähnt, daß ich bizarre Felsformationen liebe? (Ja, ich weiß, bestimmt schon hundert mal …)

Am großen Inselberg stehe ich dann komplett in der Wolke. Nicht einmal die Spitze des dortigen Sendeturms ist zu sehen, obwohl ich direkt davor stehe! Dafür aber die verführerisch offene Tür der benachbarten Gaststätte. Ich kann nicht widerstehen und gönne mir eine Bratwurst und ein Bier in der warmen Stube. Jetzt erst merke ich, wie frisch es draußen war. Kein Wunder bei diesem Wetter und auf über 900 Meter! Dabei ist mir unterwegs nie kalt gewesen, ein T-Shirt und die leichte Wanderjacke darüber haben immer gereicht. Könnte an den gut 700 Höhenmetern liegen, die ich heute erklommen hab. (Gut aufpassen Chris, gell!)

Von nun an geht es bergab, immer hinunter durch den dichten Wald, der mir immer noch ganz allein gehört, bis zu meinem heutigen Quartier, dem Spießberghaus.  Ein uraltes Hotel aus der Zeit der Jahrhundertwende. Hat richtig Charme! Und bietet ein hervorragendes Hirschgulasch! (Habe ich schon mal erwähnt, daß ich Wild liebe?)

So langsam komme ich in die Phase, wo ich warmgelaufen bin. Noch nicht ganz, aber fast. Zeitweise bin ich noch zu schnell, die Koordination zwischen Beinen, Armen und Kopf braucht noch etwas Verbesserung, aber so im großen und ganzen spielt sich mein Büffelrhythmus wieder ein. Meine nagelneuen Wanderschuhe leisten auch hervorragende Arbeit, bis auf eine kleine Druckstelle am Schaftrand links. Hab es etwas abgepolstert, wird sich schon geben.

So, und nun sollte ich mich der Dessertkarte widmen …


3. Etappe: Vom Spießberghaus nach Oberhof

22. September 2015

Heiter bis wolkig … oder eher anders herum, denn das Wetter wird Stunde um Stunde besser!

Um kurz nach 08:00 bin ich beim Frühstück im einsam gelegenen Hotel Spießberghaus. Weit und breit kein nennenswerter Ort, nur Wald und eine grandiose Aussicht ins Tal. Und ein Frühstück vom Feinsten, mit Rühreiern und Speck (all you can eat, leider gibt es keinen Haggis … ) und allem drum und dran. Ich geruhe am großen Panoramafenster mein Mahl einzunehmen … die hatten was drauf, so um 1900 herum, als dieser Palast für die Reichen gebaut wurde! Heute ein echter Tip für jeden Wanderer, der hier vorbei kommt.

Pappsatt und durchaus etwas faul zwinge ich mich kurz nach 09:00, mein Tagwerk zu starten. 24 km und gute 500 Hm stehen auf dem Programm – am Etappenziel wird es etwas mehr sein, denn es gibt einfach zu viele lohnenswerte Abstecher!

Es muß in der Nacht noch geregnet haben, der Waldboden dampft wie in einer Waschküche, aber von oben ist es trocken. Das wird auch so bleiben, und die noch geschlossene Wolkendecke wird Stück für Stück brüchiger, läßt immer mehr Sonnenstrahlen hindurch und reißt schließlich ganz auf. Ein Wunsch-Traum-Wanderwetter! Vom wohl recht starken Wind merke ich im Wald kaum etwas, und Temperaturen um 14 Grad sind völlig OK. Kein Geschwitze, T-Shirt und Jacke wie gestern. Da geht es völlig unbeschwert voran!

Geschichte, wohin man blickt. Ein alter Grenzstein folgt dem anderen, denn der Rennsteig (besser gesagt: Der Kamm des Thüringer Waldes, auf dem der Rennsteig größtenteils verläuft) war jahrhundertelang Staatsgrenze zwischen all den hunderten Fürsten-, Herzog- und Sonstwastümern, die noch im 19. Jahrhundert „Deutschland“ bildeten. Ich hab nicht genau mitgezählt, aber mindestens vier sogenannte „Dreiherrensteine“ waren heute dabei, also Grenzsteine, an denen sogar drei Herrschaftsbereiche zusammentreffen. Und die Grenze zum alten Königreich Preußen hab ich auch mindestens vier mal überschritten!

Eine kleine Besonderheit hab ich mir schon bei der Planung gespeichert: Thüringens höchster Wasserfall! 20 m! Liegt nur ein paar hundert Meter abseits vom Weg, aber auch 70 Meter unterhalb. Was solls, wenn ich schon mal da bin, und überhaupt – hab ich schon mal erwähnt, daß ich Wasserfälle liebe? (Jaaa, ich weiß, … )

Also runter den steilen Hang in den Tobel! Ich war selten so froh um meine Lekis, alles feucht und steil und rutschig, da hilft selbst die beste Profilsohle nichts!

Auch wenn es heute eher ein Wässerchenfall war … wunderschön! Nach ein paar Tagen Starkregen soll der Fall so richtig spektakulär sein, und das kann ich mir lebhaft vorstellen! Immer wieder beeindruckend, was Wasser und Wetter im Gestein an Formationen hervorbringen können!

Nachdem ich mich wieder nach oben gekämpft habe, geht’s gemütlich weiter. Ein ständiges auf und ab ohne starke Steigungen und Gefälle, bis mich die Imbissbude „Neue Ausspanne“ (am gleichnamigen Wanderparkplatz, an dem ich doch tatsächlich mal eine Straße überqueren muß) schlagartig in meinem Vorwärtsdrang bremst:

Hm … könnte, sollte, dürfte ich mir hier evtl. ein gegrilltes Würstchen und ein Bierchen gönnen? Ich entscheide mich für ein JA! Aber nur wegen der Hinunter- und Heraufkletterei beim Wasserfall! Sonst hätte ich natürlich widerstanden, gar keine Frage!! Ey, ich schwör!!! 😉

Nach dieser willkommenen Stärkung geht es weiter, durch lichte und dichte Wälder, mit schönen und durchaus spektakulären Ausblicken und jeder Menge pilzigen Wegbegleitern bis nach Oberhof, wo ich mein Quartier für heute gebucht habe.

Oberhof empfängt mich … STOP! FEHLER!

Oberhof „empfängt“ gar nicht! Oberhof schreckt ab! Und wie! Mit der geballten Ladung an Unfähigkeit, wie sie nur von den von Satan höchstpersönlich bestellten dümmsten und gewissenlosesten Architekten und Landschafts- und Raumordnungsplanern dargebracht werden kann!

Zuerst kommen ein paar Gewerbehallen (was solls …), dann eine Kaserne (was solls …) und dann die große Wintersportarena, die inkl. der Parkplätze und technischen Einrichtungen ungefähr so gut in diese Traumlandschaft paßt, wie ein eitriger Pickel auf die Stirn! Nur eines scheint hier konstant zu sein: Die komplette Verleugnung jeder Ästhetik und jedes Gespürs. Insofern stehen die Nach-Wende-Planer in genau der gleichen Tradition wie ihr Vorgänger, die dieses unsägliche DDR-Protz-Panoramahotel in die Landschaft betoniert haben. Nein, ich hab KEINE Photos gemacht! (und man verzeihe mir bitte diesen Gefühlsausbruch, das musste jetzt einfach raus!)

Ach so, doch, Oberhof hat auch was schönes: Mein Quartier, das „Haus am Waldesrand“ (mit eigenem Raucher-Wintergarten!) und die klitzekleine Gaststätte „Doppelsitzer“, in der ich soeben eine ganz hervorragende Thüringer Grillplatte verspeist habe! Über den Rest von Oberhof hat die Nacht mittlerweile in ihrer Gnade die Dunkelheit gebreitet.


4. Etappe: Von Oberhof zur Rennsteighöhe

23. September 2015

Ein Tag voller Höhepunkte – im wahrsten Sinn des Wortes …

Nachdem ich gestern wieder einmal vom eigenen Körper unmißverständlich darauf hingewiesen wurde, daß ein voller Bauch nicht gern marschiert, bremse ich mich also beim Frühstück heute etwas ein. Was in Anbetracht der Auswahl durchaus nicht leicht fällt. Die Tagesetappe ist mit geplanten 19 km recht kurz, und so starte ich erst um kurz nach halb 10. Womit wir beim ersten Höhepunkt wären: Ich verlasse Oberhof!

Der Himmel ist bedeckt, aber es bleibt vorerst noch trocken, und so marschiere ich frohen Mutes wieder hinein in den Wald, vorbei an seltsamen Denkmälern und Obelisken und unzähligen Grenzsteinen bis zu einem zweiten Höhepunkt, dem Rennsteigtunnel. Der ist aber rein virtuell, denn irgendwo im Wald informiert eine Tafel darüber, daß man sich nun genau über Deutschlands längstem Straßentunnel (7916 m) befände. Ich nehme das zur Kenntnis und speichere es unverzüglich in der Datenbank des nutzlosen Wissens. Aber weil ich ja so hoch über dem Tunnel bin, werte ich das schon als Höhepunkt.

Mittlerweile hat auch der schon erwartete Nieselregen eingesetzt. Kein Thema, es gibt noch lange keinen Grund für die Regenausrüstung. Dafür riecht es jetzt plötzlich ganz intensiv nach Wald, nach Laub, nach Pilzen und Holz. Schön! Wirklich schön! Einfach die Augen zumachen und schnuppern!

Der dritte Höhepunkt folgt schon bald, nämlich der höchste Punkt im Verlauf meiner ganzen Wanderung auf 971 m! Leider stehe ich hier wieder einmal mitten in einer Wolke, was den Genuß der mit dieser Stelle verbundenen Aussicht leider unmöglich macht. Die Besteigung des dort vorhandenen Aussichtsturms spare ich mir folglich.

Die Wolke hält sich hartnäckig, weswegen Höhepunkt Nr. 4 leider auch ausfällt: Ich laufe ganz in der Nähe des Schneekopfs vorbei, auf dessen Gipfel sich auf einem Turm der höchste Punkt Thüringens befindet. Bei den Sichtbedingungen sind mir die drei Kilometer Umweg dann aber doch zu viel. Schade, schade.

Also weiter zur Schmücke, der höchstgelegenen Ansiedlung in Thüringen und damit Höhepunkt Nr. 5! Die Karte verspricht einen Gasthof mit Biergarten. Der ist auch vorhanden, doch der Regen kommt wieder, und so beschließe ich, den Schauer in der Wirtsstube abzuwettern. Was natürlich unmöglich ohne Bratwurst nebst Getränk möglich ist … 😉

Der Regen verzieht sich, die Sonne bricht durch die Wolken, und in bester Laune mache ich mich wieder auf den Weg, allerdings ohne dem neben dem Gasthof ansässigen Dienstleistungsbetrieb einen Besuch abstatten zu können (die öffnen erst um 19:00), der Höhepunkte ganz anderer Art bietet …

Es geht bergab, das Wetter lacht, und so mache ich mich doch noch auf einen 3-km-Schlenker weg vom eigentlichen Weg, um noch den großen Finsterberg zu besteigen! Der Umweg und der Aufstieg sind es in jeder Hinsicht wert! Im Wald röhren die Hirsche, so nah und laut, wie ich es noch selten erlebt habe. Und jetzt, oben auf dem Gipfel bekomme ich sie endlich: Die grandiose 360-Grad-Aussicht von einem der höchsten Gipfel auf den (nahezu) ganzen Thüringer Wald!

Juhuuuu! Cool! Hammer!

Sooooo schön! Hätte niemand schöner planen können! Ich kann mich kaum sattsehen an diesem Schauspiel aus Wolken und Licht und Gipfeln und Tälern.

Ab geht es wieder nach unten, immer runter und hinunter, bis ich wieder auf den Rennsteig treffe, und mit einem kurzen Zwischenstop im Museumsbahnhof „Rennsteig“ (für ein kleines Belohnungsbierchen für den vorangegangenen Gipfelsturm 😉 ) sind die letzten Kilometer bis zum Etappenziel, dem „Waldhotel Rennsteighöhe“ schnell gemacht.

Und hier kam es dann zum abschließenden Höhepunkt des Tages: WILDSCHWEINBRATEN! (Ich weiß jetzt nicht, ob ich schon mal erwähnt habe, daß ich Wild liebe …)

Immer wenn man meint, es würde nichts klappen, dann öffnen sich doch noch die Wolken. Auch wenn mir wetterbedingt wohl einiges entgangen ist … der Finsterberg hat mich voll entschädigt, es war tatsächlich ein Traumtag!

Ach, ich glaube, ich bestelle mir jetzt noch den Eierlikörbecher, der sieht nämlich extrem lecker aus, wenn ich da so auf den Nebentisch schiele …


5. Etappe: Von der Rennsteighöhe zur Friedrichshöhe

24. September 2015

Lang und etwas langweilig mit überraschenden Besonderheiten …

Über 26 km in Verbindung mit über 500 Hm sind kein Spaziergang, also habe ich von vorne herein jegliche Schlenker und Abweichungen vom eigentlichen Weg ausgeschlossen. Es war nicht immer leicht, das durchzuhalten, aber letztendlich hat die Vernunft doch immer gesiegt … es gab schon so einige Verlockungen!

Mein Marschtempo hat sich längst eingependelt, und heute stimmt wohl auch die Balance zwischen zu viel und zu wenig beim Frühstück. Abmarsch um 09:00, zuerst gemütlich auf einem Waldweg. Doch schon bald zeigt sich das große Manko dieser Etappe – sie verläuft zu großen Teilen entlang der Straße. Der Himmel bleibt grau bedeckt, der Weg bietet wenig Abwechslung, bis dann doch ein echter Meilenstein auftaucht: Der Mittelpunkt des Rennsteigs ist erreicht! Eine amtliche Bodenmarkierung und eine Hinweistafel mitten im Wald erläutern die vor ein paar Jahren abgeschlossene Neuvermessung des Rennsteigs. Danach beträgt die Gesamtlänge nicht, wie oft in der Literatur behauptet, lächerliche 165 km, sondern gewaltige 169 km, 235 m und 77 cm! Das wenn ich gewusst hätte …

Der Wegabschnitt im Wald ist aber auch kein wirklicher Spaß. Hier werden gerade im großen Stil Wasser- und Erdgasleitungen verlegt, der Forstweg ist deshalb eine einzige, reichlich matschige Baustelle. Irgendwann erreiche ich Neustadt am Rennsteig. Ganz nettes Örtchen, total verschlafen, aber irgendwie ist hier alles doppelt! Der Rennsteig verläuft hier direkt auf der Hauptstraße, und die war bis 1917 auch Grenze zwischen zwei Irgendwastümern. Deshalb hat dieses Nest zwei Kirchen, zwei Friedhöfe, zwei Schulen, zwei Rathäuser, zwei …

Ab Ortsende der wahre Wanderhorror! Der Weg verläuft nun DIREKT an der Straße, und das über eine kahle Hochfläche, wo der Wind nur so pfeift. Immerhin bleibt es trocken. Ich bin völlig frustriert und beschleunige unwillkürlich mein Tempo, um diese Durststrecke so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.

Eigentlich ist dieser unerfreuliche Abschnitt im Rückblick und in harten Zahlen gar nicht so weit und lang, aber die Strecke bis zur Triniusbaude kommt mir ewig vor. Dort, bei dieser urigen bewirtschafteten Hütte am Waldrand, wird mein vorankommen jäh gebremst. Ich kann doch hier nicht an der einladend geöffneten Tür vorbeigehen! Das übliche Gedeck möchte ich mir da schon gönnen, und so verbringe ich fast eine Stunde in der gemütlichen Stube zusammen mit ein paar  Tageswanderern, zwei Streckenwanderern wie mir, und natürlich einer Bratwurst und einem Bier. 16 km sind geschafft, gute 10 km stehen noch an, also: Abmarsch! So schwer es auch fällt, denn hier könnte man gut und gern tagelang verhocken!

Und jetzt paßt auch wieder der Weg. Und wie! Weg von der Straße und rein in den tiefen Wald, hinauf und immer weiter hinauf, durch abenteuerliche Hohlwege und historische Pfade dem Tagesziel entgegen. Wenn auch nur noch ein Drittel der Strecke zu meistern ist, so stehen doch noch zwei Drittel der veranschlagten Höhenmeter an. Aber es eilt ja nicht, ich bin wieder im Wald, und so geht es völlig entspannt und gemütlich bergauf und bergab durch einen wunderschönen Wald. Keine besonderen Sehenswürdigkeiten, aber auch keine nervigen Straßen mehr in der Nähe. Um mich herum röhren die Hirsche, vom Himmel fällt kein einziger Tropfen, und so komme ich zwar nicht gerade ausgeruht, aber im Kopf doch völlig frisch und frei bei meinem Quartier auf der Friedrichshöhe an. Ein Traumdorf inmitten einer Traumlandschaft. 16 Häuser, davon zwei Wirtshäuser. Der kleinste Ort am Rennsteig. Himmlisch!

Wenn ich daran denke, daß ich gegen Mittag noch fast am verzweifeln war, nur wegen ein paar Kilometer Weg an einer Straße … lächerlich! Aber so ist das halt mit Emotionen … 😉


6. Etappe: Von der Friedrichshöhe nach Spechtsbrunn

25. September 2015

Die Sonne lacht – meistens. Und es bleibt wieder einmal komplett trocken. Was bin ich für ein Glückspilz!

Gestern Abend fragt mich mein Wirt, wann ich frühstücken will und ergänzt die Frage gleich mit: „So um neun?“. Noch bevor ich überhaupt eine Gelegenheit habe ihm zu antworten, daß mir „so gegen acht“ eigentlich lieber wäre ergreift er angesichts meines wohl etwas kritischen Gesichtsausdrucks sofort die Initiative mit den Worten: „Ach, sie wollen ja sicher früh los, dann machen wir das doch schon um halb neun!“ Okokok. Paßt schon! Und so pressiert es mir ja auch nicht!

Also bremse ich mich um halb neun wieder einmal etwas ein. Deftig und lecker, kann ich nur sagen. Die Schnittwurst lasse ich liegen, aber diese Thüringer Variante vom roten Pressack und der reichliche Batzen Mettwurst (mmmh, göttlich!) will vor den Marmeladesemmeln doch seiner Bestimmung zugeführt werden!

So geht es frisch gestärkt um kurz nach neun wieder auf Tour. Bei strahlendem Sonnenschein übrigens. Ein perfekter Start in den Tag. Der Weg bleibt zwar vorerst noch in Straßennähe, aber ohne jede Belästigung. So geht es vorbei an den schon zu persönlichen Freunden gewordenen Grenzsteinen bergauf und bergab durch lichten Wald und vorbei an jeder Menge Informationstafeln, die ein erstaunliches Wissen über Geologie und Geschichte vermitteln. Das ist jetzt nicht ganz neu für mich, aber auf diesem Abschnitt des Rennsteigs kommt tatsächlich eine geballte Ladung an Information. Und ich widme mich jeder einzelnen Tafel mit zunehmender Begeisterung. Um es ganz offen zu sagen: Ich habe in den letzten paar Tagen hier auf dem Rennsteig erheblich mehr über Geologie, Biologie, Kultur und Geschichte der deutschen Mittelgebirge und die damit verbundenen politischen und sozialen Auswirkungen gelernt, als in 13 Jahren Schulzeit! Und das ganz nebenbei, in einer wunderschönen Umgebung.

Nach zwei kleinen Dörfchen erreiche ich Neuhaus am Rennweg. Warum es hier Rennweg statt Rennsteig heißt, weiß ich noch nicht. Auch die Frage, warum ich die Originalroute durch den Ort anstatt der Umgehung über die Waldstrecke genommen habe, bleibt vorerst unbeantwortet. Im Nachhinein war es einfach die falsche Wahl, aber so schlimm war Neuhaus dann auch nicht. Eher etwas lang und langwierig, aber durchaus interessant. Allein die mögliche Anzahl von Mustern von  Schieferverkleidungen innerhalb einer ja sehr begrenzten Fläche von Fassaden ist durchaus beeindruckend. Es ist nämlich faszinierend, was ein guter Handwerker an Variationen und durchaus witzigen Ideen mit einem Material anstellen kann, das von sich aus eigentlich nur eines ist: Schwarzgrau.
Aber sorry, irgendwie hab ich heute keinen echten Blick dafür. Wäre wohl ganz anders, wenn ich eine Nacht oder mehr hier Station machen würde, aber heute – nein, geht einfach nicht, ich will wieder raus in den Wald. Meinen Wald! Ja, wirklich! Die Assimilierung ist abgeschlossen.

Zwischendurch mal ein Telefonat mit meinem Vater, und zwar ausnahmsweise ohne daß das Netz schon beim Versuch eines Verbindungsaufbaus völlig zusammenbricht. Auch so eine Thüringer Spezialität. Mobile Scheinnetze! Die müssen eigentlich unter Schutz gestellt werden!

Zurück im Wald. Hohlwege, lockere Mischwälder, offene Wiesen. Und die über Neuhaus bedrohlich aufgezogenen dunklen Wolken sind auch wieder weg. Es bleibt eine helle Mischung aus Blau und Dunkelgrau, es bleibt trocken, und es bleibt kalt. Ziemlich kalt. Ich sehe mich genötigt, die Belüftungen an meiner Jacke zu schließen. Mehr aber auch nicht.

Vorbei an einem wunderschönen Aussichtspunkt, dem Triniusblick, der die Sicht auf den mittlerweile ganz nahen Frankenwald freigibt, vorbei an einem Schiefersteinbruch, dessen Besonderheiten schon ein gewisser Herr Goethe beschrieben hat, hinunter und immer weiter hinunter Richtung Spechtsbrunn, meinem Tagesziel.

Aber kurz vorher, nur 2,2 km vorher, stellt sich mir wieder einmal ein schon bekanntes und auch  liebgewonnenes Hindernis in den Weg – die „Bergbaude am Brand“! Also, eigentlich wollte ich ja durchmarschieren, aber in Anbetracht der Verlockung – das übliche! (mir ist durchaus bewusst, daß mein Bratwurstkonsum mittlerweile bedenkliche Ausmaße angenommen hat …)

Hinunter nach Spechtsbrunn, Zimmer beziehen im urgemütlichen Gasthaus „Am Rennsteig“. Tagesangebot: Spanferkelbraten mit gerösteten Knödel (sorry, „Klüs“), wie könnte ich da nur widerstehen?

  1. Nachtrag: Der Apfelstrudel mit Vanilleeis mußte laut Wirt (ey, ich schwör!) unbedingt weg, und ich war vom wandern schon so müde, daß ich gar keine Kraft mehr hatte, zu widersprechen. EHRLICH!

2. Nachtrag: Alles, was ich hier nicht detailliert beschrieben habe (und das sind weit mehr als 90%) bestand ganz einfach aus Wald, Duft, Luft, und … purem Spaß! Und das gilt eigentlich für jeden einzelnen Tag auf dieser Tour!


7. Etappe: Von Spechtsbrunn nach Grumbach

26. September 2015

Ein Tag voller Grenzerfahrungen!

08:30 beim Frühstück im Gasthaus am Rennsteig, 09:20 Abmarsch! Es steht mir noch einmal eine lange Etappe bevor, denn ich will noch einen Umweg über den Wetzstein machen, um den dort neu erbauten Altvaterturm zu besuchen. Vielen Dank an Günter für den Tip!

Das Wetter lacht wieder einmal beim Abmarsch in Spechtsbrunn, und so geht es munter weiter auf meiner Route, die mich heute direkt an, auf und über die ehemalige Zonengrenze führen wird. Insgesamt zehn mal werde ich die Grenze von Thüringen nach Bayern oder umgekehrt überschreiten, oder direkt darauf gehen.

Ein paar Teile der Sperranlagen wurden am Ortsausgang von Spechtsbrunn erhalten, sonst ist nahezu nichts mehr von dem Wahnsinn zu sehen, der sich 40 Jahre lang über 1300 km quer durch Deutschland gezogen hat.

Sagen wir so: Wer die Zonengrenze, ihre abartige Ausgestaltung und den Verlauf nicht selber kennt, würde heute niemals auf die Idee kommen, daß hier quer über die Wiese vor dem kleinen Wäldchen ein Gitterzaun mit Sperrgraben, Selbstschussanlagen, Minenfeldern und all dem anderen Irrsin verlaufen ist. Einzig die Sperrgräben sind teilweise noch erkennbar.

Verbunden mit dem Grenzverlauf ist aber auch das „Grüne Band“, oft als Europas längstes Naturschutzgebiet bezeichnet. Der ehemalige Todesstreifen zwischen den Sperranlagen und dem eigentlichen Grenzverlauf ist ein ganz einzigartiges Biotop, von Menschen über Jahrzehnte nicht betreten, eine wahre Freude für jeden, der mit offenen Augen durch die Landschaft geht und hier Dinge entdeckt, die woanders längst verschwunden sind. Könnte man auch als Fernwanderung ins Auge fassen. Muß mal meinen Chef fragen. So ca. drei Monate Urlaub bräuchte ich halt für die Gesamtstrecke …

Irgendwo direkt am Grenzverlauf biege ich also dann mal ab vom Weg, rauf auf den Wetzstein zum Altvaterturm. Kalt bläst der Wind hier oben, also schnell in die warme Stube, denn der Turm hat unten im Erdgeschoß seine eigene Gastronomie! Da haben die Erbauer mal mitgedacht! Und mir den Genuß meiner täglichen Bratwurst ermöglicht.

Die Turmbesteigung selbst bleibt mir leider verwehrt, denn ein ganzer Reisebus voller … äh … „Personen mit stark eingeschränkter Mobilität“ (ich hoffe, das war politisch korrekt genug formuliert) blockiert derzeit und für noch bestimmt eine Stunde den Aufstieg. Ich gönne das denen ja von Herzen, kein Problem. Aber selber muß ich dann echt weiter, am Tagesziel werden wohl 28 km auf dem Tacho stehen und davon sind schon noch ein paar zu machen …

Fast planmäßig um 17:30 komme ich an meinem Ziel, der Rennsteig-Pizzeria an. Ich spüre die Strecke in den Waden, an den Fußsohlen und überall, ich bin ziemlich geschafft, aber wieder hat sich jeder einzelne Meter gelohnt!

Immer diese widerstreitenden Gefühle!
Auf der einen Seite: Uff, geschafft! Jetzt reicht’s aber!
Auf der anderen Seite: Wie, schon Schluß? Schade!

Ab unter die Dusche, runter ins Restaurant, wo heute wieder einmal alle sechs (inkl. mir) Streckenwanderer beisammen sind, die mehr oder weniger gemeinsam am gleichen Tag in Hörschel bzw. Eisenach gestartet sind. Cool! Alle noch da, keiner hat aufgegeben oder abgebrochen! So endet der Abend nicht gerade frühzeitig und man freut sich schon jetzt auf das Treffen am Endpunkt des Rennsteigs in Blankenstein … morgen Abend …

Was? Wie? Morgen schon? Ist das schon wieder so weit? Nur noch ein Tag zum wandern? Ach Mann, gerade jetzt, wo ich mich so schön …

Jaja, immer diese widerstreitenden Gefühle, immer das selbe.

Grenzwertige Erfahrungen, in jedem Sinn, davon gab es heute wirklich genug! 😉


8. Etappe: Von Grumbach nach Blankenstein

27. September 2015

Ein intensiver Abschiedstag. Mein letzter Tag. Unweigerlich. Und wie immer auf meinen Wanderungen ein etwas wehmütiger Tag. Jaja, ich bin es ja gewohnt …

Frühstück um halb neun. Der sizilianische Wirt, der gerade seinen Junior zur Schule in den Nachbarort gebracht hat, spricht von seltsamen Vorgängen. Die Leute würden dort die Scheiben ihrer Fahrzeuge mit Eiskratzern bearbeiten! Ein Tritt vor die Tür für meine „Start-in-den-Tag-Zigarette“ bestätigt diese Aussage mehr als deutlich. Hm … sollte ich evtl. … nein! Ich vertraue auf die Jacke und meinen allergrößten Stolz, der mich seit einer Woche warm und kühl hält, mein neues Merino-Shirt! Mit Erfolg! Nie wieder was anderes!

Halb zehn, und hinaus geht es in die graue Nebelsuppe, durch die zaghaft der eine oder andere Lichtstrahl von oben durchbricht. Raureif überall, selbst die Spinnweben sind gefroren und zaubern bizarre Muster in die Gräser und Bäume. Und immer mehr bricht das Licht durch den Nebel, schickt meterbreite Strahlen durch die Bäume, eine Stimmung wie in der Ouvertüre zu „Also sprach Zaratustra“, bis wie in deren Finale wieder ein traumhafter Himmel im reinsten Blau sich mit ein paar wilden dunklen Wolkenfetzen streitet … was für ein grandioser Start in den Tag!

Der Wald geht zu Ende. Nahezu schlagartig. Die offene Landschaft ist völlig ungewohnt, schön und offen, aber irgendwie … ich komme mir ziemlich schutzlos vor. Der Wind pfeift kalt übers Land, das nächste Seitental gehört mir!

Kurz nach Schlegel, ein richtig idyllisches Dorf mit einem 400 Jahre alten Apfelbaum (das dürfte Rekord sein!) biege ich vom Rennsteig ab auf eine alternative Route. Warum? Ganz einfach: Dort, wo einst einsam der Rennsteig hinunter nach Blankenstein lief, befindet sich heute eine stark befahrene Hauptstraße. 6 km entlang einer Hauptstraße? Nein!

Also bahne ich mir meinen Weg über die Wiesen hinunter nach Seibis, und dann durch das wilde Tal der Mörschwitz immer entlang der Grenze bis nach Blankenstein. Ich bin wieder mitten im grünen Band! Ein Traum! Völlig allein mit wilden Orchideen, vorbei an Felsen und Klippen, einer theoretisch interessanten Höhle (theoretisch, weil mir für die praktische Befahrung die Ausrüstung und der Kumpel fehlen), über ein seit 70 Jahren stillgelegtes Eisenbahnviadukt hinein nach Blankenstein.

Mein Ziel: Die Selbitzbrücke, an der beim Zusammenfluß von Selbitz und Saale der Rennsteig endet. Und zu der ich (und Mark. S. aus M.) auch einen sehr persönlichen Bezug habe. Und an der ich eine traditionelle Handlung vollziehen muß: Von der Hörsel in Eisenach hab ich einen Stein mitgenommen, und den muß ich jetzt da reinwerfen. Macht man so.

Wahrscheinlich werden mich jetzt alle für bescheuert halten, aber … naja … es war schon ein echter Trennungsschmerz, mich von meinem Steinchen zu trennen, das mich über 180 km in der Hosentasche begleitet hat.

Widerstreitende Gefühle mal wieder. Man nimmt am Start etwas mit, ohne jeden Bezug dazu, man gibt es am Ende her, mit einem dann ganz persönlichen Bezug. Und man nimmt dann alles dazwischen als ureigenste Erfahrung wieder mit, die einem niemand mehr nehmen kann. Nein, ich will das jetzt nicht weiter durchdenken …

Und so geht es wieder einmal zu Ende. Meine Wanderkollegen sind auch alle gut angekommen, und wir haben uns alle heute wieder getroffen, obwohl wir auf drei Unterkünfte verteilt sind. Wenn ein Abschluß schön sein könnte, dann würde ich jetzt sagen, es war heute ein schöner Abschluß. Aber in Wirklichkeit …

Ach, ich glaube, ich nehme jetzt doch noch die Einladung an, mich mit an den Stammtisch zu setzen!

– Ende –